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Die R�ckkehr der Moral

Ralf Turtschi Das Jahresende ist für viele eine Zäsur: Was ist gut gelaufen, was muss ich besser machen? Die Unterscheidung der Welt in gut und schlecht ist für mich mehr eine Rechtfertigung für das eigene Tun. Was ist schon gut? Was ist heute schon schlecht? Die eigene Weltsicht rückt in den Mittelpunkt, denn was gut oder schlecht ist, meine ich auf mich selbst bezogen. Im eigenen Kokon gefangen, wird so jegliches Tun gerechtfertigt. Was für mich selbst gut ist, ist generell okay. Also zum Beispiel Ferienfliegen, Fleischessen, Autofahren, Cheminéefeuern, Liftfahren, Batterieverbrauchen, Colatrinken, Essenwegschmeissen, Weitpendeln, Nippeskaufen. Ob mein eigenes Verhalten die andern stört oder es gar schadet, frage ich nicht. Es kommt eh so, wie es kommt, ich kann als Einzelner nichts verändern.

Wie verändert sich «etwas» überhaupt? Wie kommt es zu einer Idee, aus der eine konkrete Planung und Handlung erwächst? Es ist immer das Bestehende, auf dem wir aufbauen. Wir versuchen, die Existenz von Dingen mit den eigenen Talenten zu verbinden, um daraus Gedanken, Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Bestehendes hat Vorbildcharakter, das zum Nachahmen einlädt. Kleine Kinder spielen mit Mamas Stöckelschuhen, lernen, mit Besteck umzugehen oder über den Zebrastreifen zu laufen. Vorbildcharakter haben Eltern, Lehrer, Sportgrössen oder Politiker. Alle. Im Guten wie im Schlechten. Die Gesellschaft besteht aus Individuen, die mannigfaltig miteinander in Beziehung stehen. Es gibt Regeln im Umgang, die sich bewährt haben. Die kleinen Zauberwörter Danke und Bitte oder das Lächeln im Gesicht können Wunder wirken. Wie wir miteinander umgehen, lachend und zankend, hat mit Sozialisierung und Vorbildern zu tun.

Vorbild sein heisst nicht nur, nach Recht und Gesetz zu agieren, sondern zusätzlich einen Moralkodex zu entwickeln, der aus «ist okay» oder «macht man nicht» besteht. Einander bescheissen, etwas Falsches vorsätzlich vorgeben, Rechnungen nicht bezahlen oder nicht vollbrachte Leistungen verrechnen, sind alles Dinge, die ich moralisch mit «geht nicht» bezeichne, für die es jedoch mehr als 256 Graustufen gibt.

Die Schimpftiraden des amerikanischen Präsidenten unterscheiden sich in der Art und Weise nicht von Äusserungen anderer Populisten. Das Internet ist ein Ort, wo der unanständige Umgang in keinem Verhältnis zum Inhalt steht. Sogar Nichtigkeiten erzielen Tausende Downloads, Likes und Kommentare. Was unter den Deckel der freien Meinungsäusserung gesagt werden darf, bedarf des moralischen Korrektivs. Es geht nicht, dass Andersdenkende öffentlich niedergemacht und persönlich diffamiert werden, wie das leider zurzeit in der Politik geschieht. Nicht live und nicht im Internet. Ganz offensichtlich ist das Ellbögeln von der Wirtschaft in die Politik geschwappt – der Ton hat sich unanständig verschärft, ein sorgfältiges Abwägen von Pro und Kontra ist viel zu selten.

Es ist Zeit für eine Umkehr, denn die Ellbogenmentalität hat das Nach-mir-die-Sintflut-Handeln zur Folge. Mehr Moral, mehr Haltung, mehr Mut zum Anstand, mehr Rücksichtnahme, mehr Achtsamkeit, mehr Mässigung. Ich hoffe, ich finde den moralischen Weg und noch mehr, dass ich Sie 2019 da virtuell antreffen werde. Bis bald!